Losgelassen.

2015-05-28 19 25 16

Ihre Absätze klapperten am Asphalt, die Schritte hallten wider im Licht der Nachmittagssonne. Sie eilte. Sie freute sich. Sie war ungeduldig. Sie bezähmte sich. Sie lächelte.

Sie stellte sich die Umarmung vor, die sie erwartete, den Kuss, den Hauch seines Atems, seine Körperwärme, seinen Geruch. Sie konnte seine Haut unter den Gewändern spüren, und in ihrem Tagtraum fiel aller Stoff wie von selbst von ihnen ab, Haut traf Haut, schmiegte, wiegte sich, rieb sich, wogte und liebte sich. Einander. Aus Zwei wurde Eins.

Ihr ganzer Körper pulsierte in Vorfreude, die Sinne auf den Geliebten gerichtet, der am Ende dieses Tages auf sie wartete. Alles andere, die Alltäglichkeit des Seins, war an den äußersten Rand ihrer Wahrnehmung gerückt, ja, in Vergessenheit geraten. Was gab es Wichtigeres als diese Empfindungen, die sie gerade jetzt hegte? Das Rotgold der Sonne unterstrich nur ihr inneres Jubeln.

Sie wusste, es war töricht zu glauben, es gäbe in seinem Leben nur sie. Nicht er. Dazu war er zu wild, zu ungezähmt. Er war alles, was sie sich nicht erlaubte zu sein, in ihrem Inneren eingeschlossen träumte, zu werden, auf den richtigen Moment wartete, erweckt, nein, nicht erweckt, befreit zu werden.

Liebte sie ihn? Seine Wildheit, seine Fremdheit, sein völliges Anderssein? Gewiss und völlig unbedingt, bedingungslos. Sie war dabei, sich loszulassen auf ihn, rücksichtslos in Bezug auf ihre sonst so geordnete ordentliche Welt. Sie würde mit dem Durchgang durch seine Türe ihr Haar schütteln, damit es zerzauste, die Tasche fallen lassen, die Jacke geradezu von sich reißen, die Schuhe von den Füßen schleudern. Den Rest, so hoffte sie, würde er erledigen. Sie spürte, wie sich ihre Erregung steigerte, als sie daran dachte, wie er ihre Bluse öffnete …

Sie liebte ihn, ja, mit einer Intensität, die sie selbst überraschte, die sie nie zuvor erlebt hatte. Es war, als hätte das wilde Tier in ihr endlich den Weg aus dem goldenen Käfig ins Freie gefunden. Draußen wartete der dunkle Wald, ein Urwald, unbekannt lauerte er und dräute in der Finsternis der Nacht. Sie spürte, wie lebendig diese war.

Sie wusste, er würde ihr das Herz brechen. Sie würde sich selbst das Herz brechen, denn sie wusste auch, dass er nicht bleiben würde. Unsteter Reisender, der er war. Sie ließ sich auf ihn los, sehenden Auges.

Liebte er sie? In den Augenblicken der Umarmung, ja. Sein Körper, dessen Berührungen waren eine einzige innige Liebeserklärung. Für diese Nacht, für diese Stunde, liebte er nur sie. Darüber hinaus … gab es keine gemeinsame Zukunft.

Oh, sie wusste das genau. Ihr Herz pochte, schien ihr aus dem Gerippe springen zu wollen, als würde es ihr voraushüpfen, in seine Arme. Sie lachte kurz auf, ein Passant hob überrascht den Kopf im Vorbeigehen, musterte sie interessiert. Sie sah ihn nicht. Aber er sie. Liebende leuchten.

Und so eilte sie durch die Straßen, auf ihn zu, der ein Reisender war, und vielleicht schon morgen wieder weiter ziehen würde. Sei’s drum! Jetzt war er noch da.

Sie erreichte das Haus, in dem er sich aufhielt. Sie hielt inne, mit einem Mal und auch nur für einen winzigen Augenblick ernüchtert: ihr Verstand fragte erneut, ob sie das wirklich wollte. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: Ja.

Als sie das Portal durchschritt, wusste sie, ein Teil von ihr würde diese Nacht sterben.

Jedoch würde ein anderes Stück ihrer Seele wiedergeboren werden. Das zählte. Und die Liebe, die seltsame, wilde Wege ging.

 

 

 

 

 

11 Kommentare Gib deinen ab

  1. Jim Kopf sagt:

    Ich bin begeistert von der Art wie du schreibst, von intensiven Gefühlen durchdrungen, dazu mit einem scharfen, beobachtendem Auge, das sich in die Situation fallen lässt, alles wirkt sehr lebhaft und unkonstruiert, was toll ist! Gefällt mir sehr :)

  2. jane sagt:

    In diesem kleinen Text sind viele Sätze, die ich beim Lesen hell markiert habe. Woher weißt Du…?

    1. Ich weiß jetzt natürlich nicht, welche Sätze du markiert hast … aber solltest du dich wiederfinden, ich hoffe, ich interpretiere deine Zeilen richtig, dann kann ich dir nur sagen, dass ich weiß, … dass es Wilde Männer und Wilde Frauen gibt.

    2. Ich froi mich übrigens schon auf deinen nächsten Beitrag auf deinem Blog!

  3. missparkerc sagt:

    Wow, super, da entsteht gleich ein Film in meinem Kopf! Bitte noch mehr davon! Liebe Grüße, Caroline

    1. Vielen, vielen Dank, Caroline! Ich tu‘, was ich kann ;o) ! Herzliche Grüße, Silvia

      1. missparkerc sagt:

        Silvia, du heißt wie meine beste Freundin, die ich schon seit meiner Volksschulzeit kenne. :-)

      2. Das ist aber nett :o) … wer weiß, vielleicht sehen wir uns ja mal im Figar? Bin ja nicht so oft dort, aber wenn, dann werde ich nach dir Ausschau halten :o) …

      3. missparkerc sagt:

        Liebe Silvia!

        Oh, ich würde dich sehr gerne persönlich kennen lernen. Im FIGAR bin ich jetzt auch nicht so oft. Um die Wahrscheinlichkeit eines Treffens zu erhöhen: MissParkerC@live.at :-)

        Liebe Grüße, Caroline

      4. missparkerc sagt:

        Liebe Silvia,
        darum geht es doch auch bei meinem LIEBESRAUM-Projekt. Am liebsten die Leute hinter den Blogs kennenlernen, vernetzen, Freundschaften finden, Vielfalt und Liebe vermehren. :-)

        Ich freu mich auf dich,
        Caroline

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