Wir fuhren los, in östliche Richtung. Der Himmel war von einem geradezu unverschämten Blau, Wolkenbänke türmten sich dramatisch um die Gipfel der Berge. Wir wanderten im Schnee. Folgten dem Little Cottonwood Creek.
Als Wienerin kenne ich die Alpen ganz gut, deren schroffe Schönheit und so weiter und so fort. Die Berge hier: sie haben ein ganz anderes Gepräge und damit meine ich nicht nur das Gestein. Das Licht, die Farben. Die Bäume, alles ist eine Spur wilder, intensiver (vermutlich bilde ich mir das ein, weil ich es zum ersten Mal sehe …). Ich beginne zu verstehen, warum die Amerikaner so stolz auf ihre Leistungen sind – all die Städte, die der Wildnis, der Wüste ertrotzt wurden. Die perfekt angelegten Parks, eine kultivierte Imitation der Natur: ein Statement – wir überlebten! Wir sind hier und nun: lieben wir dieses Land, wir wurden ein Teil davon so wie das Land von uns.
Dass alles mindestens zwei Seiten und verschiedenste Aspekte hat, weiß vermutlich jeder. Dennoch ist diese Kombination aus Wildnis und Kultur berührend. Ich spüre, wie sich beim Betrachten all dieser Dinge mein Gehirn verändert, meine Wahrnehmung erweitert wird, mein Respekt wächst. Ja, es gibt vieles zu kritisieren. Aber es gibt auch so vieles zu bewundern.
Menschliche Gemeinschaft, Individualität, Einsamkeit, Schönheit und Hässlichkeit, alles liegt auf einem wundervollen Silbertablett des Lebens vor uns. Als ich mich vor einigen Tagen in den Wäldern verirrte und Sauerampfer wuchern sah, wusste ich, ich könnte hier überleben. Klingt vielleicht albern, ich hatte auch gar keine Angst, mich wirklich verirrt zu haben. Es wurde mir nur bewusst, wie gleich wir bei aller Verschiedenheit sind. Und wie sehr wir alle am Leben hängen, um es kämpfen, um unser Überleben.
Ja, der gnadenlose Egoismus ist ein Ergebnis dieses Kampfes. Ein anderes: Würde. Respekt. Selbstvertrauen. Selbstbewusstsein. Optimismus. Freude. Und von allem auch das Gegenteil.
Ich folge meinem Traum. Oh, ich bin tatsächlich in Amerika, und ja, ich bekomme eine Ahnung davon, wie viel versprechend diese Weite und Größe auf die menschliche Psyche wirkt. Ich lasse mich ein: auf den Traum. Auf meinen eigenen. Vielleicht ist es die Höhenluft, die mich berauscht. Vermutlich. Auch meine kindliche Sehnsucht nach Erkenntnis und Weite. Der Wilde Westen war ein Teil davon, ist es noch. Es ist natürlich die eigene Weite und Wildheit, die ich suche. Der äußere Raum lediglich Spiegelbild, im Guten wie im Schlechten.
Ein weiterer wunderschöner Tag hat sich nach einer langen, dunklen Nacht vor uns aufgetan. Es folgen Bilder, Eindrücke. Ich lerne so viel Neues dazu, ich merke, ich werde nie, nie, nie damit an ein Ende kommen, selbst wenn ich so alt wie die Steine um mich herum werden würde. Wie kann ich jemals lebensmüde werden? Wenn ich alten Kummer loslasse, leer werde, um Neues fassen zu können? Und welch schöne Blüten jeder neue Tag treibt?
Es gibt Tränen. Und das Lachen.
Ich muss los. Bis bald!