Please read English translation beneath
Wir glauben die Welt so sehen zu können, wie sie wirklich ist. Wir denken, es genügt, am Morgen die Augen zu öffnen, um in die Wirklichkeit einzutreten wie in einen nächsten (T)Raum. Wir machen Fotos und sind stolz, wenn wir in der Nachbearbeitung möglichst wenig verändern müssen, weil wir die Technik so gut beherrschen, dass wir an den Rädchen und Schräubchen oder was auch immer drehen, um das Bild „richtig“ auszuleuchten. Während wir das tun, vergeht Wirklichkeit und wir halten einen Augenblick fest, den wir niemals erwartet hatten. Andererseits erscheint durch mehr oder weniger intensive Nachbearbeitung so manches, was uns andernfalls entgangen wäre, oder wenn es uns nicht entgangen ist, vermögen wir es hervortreten zu lassen, was da eigentlich ist (vielmehr war), oder auch da ist (war) oder was auch immer.
Wir versuchen uns einzuordnen, alles einzuordnen. Zu sehen, zu erkennen, zu verstehen, loszulassen, weiterzugehen … bevor es die Fotografie gab, fielen noch mehr gelebte, intensiv erlebte Momente der augenblicklichen Vergessenheit anheim, als es so oder so immer der Fall ist, sein wird. Was immer wir tun, wir werden eines Tages nie gewesen sein oder so gut wie. Und doch auch wieder nicht, irgendwo ist das, was wir als Information sind, gespeichert, aufgehoben, Dünger für weitere Generationen. Sind unsere Informationen für immer existent oder verschwinden sie doch irgendwann?
Wir leben JETZT. So wahrhaftig wie möglich, so liebevoll wie nur geht, freudvoll und herzlich. Wenn wir das nicht tun, was bleibt dann?
Es ist vermutlich leichter, unter idealen Voraussetzungen so zu leben, aber ideal bedeutet, nie ganz da zu sein. Dort ist das Ziel, das wir anstreben. Also streben wir. Leben wir unseren Idealen entsprechender fällt es immer noch leichter als lebten wir unter anderen Voraussetzungen (nicht wahr?): in Kriegsgebieten etwa, oder Slums, in desolaten Famlienverhältnissen, die kriegsähnlich anmuten, schon ungeborenen Kindern Stress verursachen, aus dem sie nur unter besonderen Umständen – durch glückliche Zufälle etwa oder kraft einer außergewöhnlich starken Persönlichkeit – sich herausarbeiten können, oder durch tägliche Meditation (was für ganz viele Menschen die härteste “Arbeit” ist, der sie sich nicht unterziehen, weil sie schließlich “frei” sein wollen, und „Arbeit“ bedeutet Abwesenheit von „Freiheit“).
Wir haben den Anspruch, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Wer sieht sie wirklich? Was, wenn alle die Wirklichkeit sehen, und was, wenn jeder Mensch etwas anderes sieht? Die Wirklichkeit wirkt. Die Wirklichkeit besteht nicht aus bestimmten Gegenständen, die unverrückbar vor der Sicht der Dinge stehen. Die Wirklichkeit ist das, das aus den wahrgenommenen Gegenständen wirkt. Oder ist die Wirklichkeit das, das diese Entität, die sieht, in die Gegenstände hineinlegt, diese formt je nach innerem Muster (variieren diese, gibt es eine bestimmte Anzahl oder ein unendliche Zahl davon, lassen wir uns täuschen von Ähnlichkeiten, Annäherungen und dergleichen?)?
Ich bin das, das sieht und sich selbst sieht in der Betrachtung der Welt? Ich bin das, was sich selbst fühlt, wenn ich weiß, was ich anderen antue, tue ich mir selbst an?
Wenn ich gut zu mir selbst bin, bin ich gut zur Welt?
Was bedeutet es, gut zu sich selbst zu sein, wo beginnt Egoismus, wo ziehe ich die Grenze zu Ignoranz, weil ja nicht alle die gleichen Chancen vorfinden können.
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We believe we can see the world as it really is. We think it’s enough to open our eyes in the morning to enter reality like entering another room. We take photos and are proud when we must change as little as possible in post-processing, because we have mastered the technique so well that we turn the cogs and screws or whatever to illuminate the picture properly. As we do this, reality passes and we capture a moment we never expected. On the other hand, through more or less intensive post-processing, many things appear that would otherwise have escaped us, or if they have not, we are able to make them stand out, what is (rather was) actually there, or is (was) there.
We try to classify ourselves, to classify everything. To see, to recognize, to understand, to let go, to move on … before photography existed, even more lived, intensely experienced moments fell prey to instantaneous oblivion than is still the case either way. Whatever we do, we will one day never have been, or as good as. And yet again not, somewhere what we are as information is stored, saved, fertilizer for further generations. Does our information exist forever, or does it eventually disappear?
We live NOW. As truly as possible, as lovingly as we can, joyfully and heartily. If we don’t do that, what’s left?
It is probably easier to live this way under ideal conditions, but ideal means never to be quite there. That’s where the goal is that we strive for. So we strive. If we live according to our ideals, it is still easier than if we lived under other conditions (isn’t it?): in war zones, for example, or slums, in desolate family conditions that seem war-like, causing stress to unborn children, from which they can only work their way out under special circumstances – through happy coincidences, for example, or thanks to an exceptionally strong personality – or through daily meditation (which is the hardest “work” for many people, which they do not undergo because they want to be “free”, and work means absence of “freedom”).
We have the claim to see the world as it really is. Who really sees it? What if everyone sees reality, and what if everyone sees something different? Reality works. Reality does not consist of certain objects that stand immovably before the view of things. Reality is that which acts from the perceived objects. Or is reality that which this entity that sees puts into the objects, shapes them according to the inner pattern (do they vary, is there a certain number or an infinite number of them, do we let ourselves be deceived by similarities, approximations and the like)?
I am that which sees and sees itself in the contemplation of the world? I am that which feels itself, if I know what I do to others, do I do to myself?
If I am good to myself, am I good to the world?
What does it mean to be good to oneself, where does egoism begin, where do I draw the line to ignorance, because not everyone can find the same opportunities.
© Silvia Springer

Beautiful writing and thought provoking.
Thank you 🙏🪷!
Die subjektive Erfahrung und Vergänglichkeit, an diesen Themen bin ich haften geblieben und danke Dir für den Gedankenanstoss! Herzlichst, Sovely
Ist mir eine Freude, wenn es so ist, herzlichen Dank an dich zurück! Mit einem Gruß aus dem Wienerwald! Silvia
Wenn ich gut zu mir selbst bin, bin ich auch gut zu meinem Nächsten. Muss ihm ja nicht gleich um den Hals fallen. Wenn ich gut zu mir bin und mich ansonsten einen Dreck um andere schere, lebe ich mehr Schein als Sein und bewege mich möglicherweise an der Grenze zum Narzissmus / Egoismus. Es gibt eine große Grauzone, glaube ich. Auch Paare können scheinbar liebevoll miteinander umgehen und sehen im Rest der Welt den Feind. Zwei allein.
Die Frage nach dem Egoismus oder die Grenze zu ihm ist in der Tat spannend und wirft grundsätzliche Fragen nach dem Umgang mit Materie und auch mit Kraft/Zeit auf. Gerne bediene ich mich eines mathematischen Gleichnisses. 51% gehören immer mir, als mein eigener Mehrheitseigner. Kann man auch Selbsterhaltungstrieb nennen. Alles geben? Ohne mich.
Die Gesichter der Wirklichkeit. Aktuell fällt mir meine Mutter (88) ein, die regelmäßig mit ihrer Cousine (89) in Australien telefoniert. Stundenlang erzählen sie sich ihre Wirklichkeit und die unterscheidet sich teils gründlich voneinander. Die Cousine hat dieses Deutschland Anfang der 50er nach einer Odyssee durch Flüchtlingslager und Krankenhäuser krank und missbraucht Richtung andere Seite der Erde verlassen und dort nach ein paar Ehrenrunden ihr Lebensglück gefunden. Meine Mutter berichtet mir regelmäßig und ich staune so wie sie.
Herzliche Grüße aus dem Tal der Wupper, Reiner 🌍👋
Ja, die Frage ist eben immer vor allem, was “gut” bedeutet: befriedigen mich nur teure Markenartikel usw. oder ist “gut” nicht mehr eine Haltung, die (Selbst)Respekt beinhaltet, Sanftmut, Gelassenheit, Selbstreflexion, Mitgefühl, das Wissen, was wirklich glücklich macht … das Wahrnehmen schöner Momente mit geliebten Menschen, einfach ein Miteinander, in dem jede/r so sein darf, wie sie/er halt so ist, nicht wahr? Das mit den 51 % halte ich für eine gute Lösung ;) … alles geben? Auch da kann so alles mögliche nicht so Gutes dahinter stecken, es ist halt sehr lebendig, das Leben, und sooo komplex, wie das Beispiel deiner Mutter und ihrer Kusine beweist: nichts ist selbstverständlich – was das Gute eben so gut und fein macht … herzliche Grüße aus dem Wienerwald, hier ein traumhaft schöner Herbsttag, ach, ist das gut …. 🌍🙏😄👋🏻