Fortsetzung der Haselnussreife

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Sie kam am Haselnussbaum vorbei, wenn sie zum Fluss ging, der eigentlich nur ein Flüsschen war. Daher konnte sie jedesmal einen Blick auf den Stand der Haselnussreife werfen. Diese ging langsam aber beharrlich vonstatten. In der Zwischenzeit fielen die letzten überreifen Marillen von den Bäumen, es kugelten noch einige aufgeplatzte und still vor sich hin gärende Früchte auf dem Boden herum. Die Äpfel prallten auf ihren Zweigen, als wären sie hochschwanger, mit glänzenden und schimmernden Bäckchen. Die Sonnenblumen schwankten auf ihren Plätzen in den Feldern, als wären sie betrunken. Die Gladiolen wippten in Feuerfarben mit ihren Blüten, der Mais stand hoch. Alles wogte und wiegte sich im Wind. Die Erde dampfte, füllte ihre Nüstern und durchdrang mit ihrem Duft ihren ganzen Körper, der pulsierte, als wäre er vollkommen neu geboren und doch so alt wie die Zeit. Alles geschah gleichzeitig. Sie war völlig durch den Wind. Sie musste ins Wasser, ins kühle Nass, sie wollte wieder die Strömung fühlen, die kleinen Wasserstrudel auf ihrer Haut, die Luftblasen, die hochperlten und sie kitzelten.

Sie stand kurz davor, zu platzen, aufzubrechen, ihren Samen in die Welt zu streuen. Sie wusste nur nicht, welcher Art diese Samenkörner waren und hoffte, alles würde gut, die Pflanzen könnten sich verwurzeln und Blüten treiben, Früchte tragen. Sie war ein Baum. Eine Blume. Der Fluss. Der einzelne Tropfen, der auf heißem Stein verdampft, so schnell könne man gar nicht schauen. Sie war die Welt, sie war alles zugleich, sie war die Liebende und auch die Geliebte und solcherart, eben alles seiend, war sie genauso gut nichts.

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. teggytiggs sagt:

    …sehr, sehr schön!

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