Projekt: „Reisende in der Zeit“ – „Traveler in Time“ Teil / Part 18

Hugo Kant – Before Midnight Tonight

Please finde English translation below.

Kürzlich, auf einem ihrer Streifzüge durch die Stadt, blieb ihr Blick an der Fassade eines Hauses aus der Gründerzeit hängen und wie ein Blitz kam ihr die Erkenntnis, dass sie in diesem Haus gezeugt wurde und die ersten Monate ihres Lebens verbracht hatte. Sie kannte es vor allem aus den Erzählungen ihrer Mutter, denn gesehen hatte sie es nur ein einziges Mal.

Das Anwesen, denn ein solches war es im Grunde, gehörte damals einer Wiener Familie,  die ihre Sommerfrische auf dem kleinen Bauernhof der Großmutter (der Großvater war kurz vor Kriegsbeginn an Lungenentzündung gestorben) in der Steiermark verbracht hatten, das eine oder andere Mal. Sie blieben immer in Kontakt, und als dann die Mutter aus Bludenz (wohin sie gegangen war, um in einer der Webereien zu arbeiten) nach Wien flüchtete, weil sie ein neues Leben ohne Mann beginnen wollte (der ihr allerdings nach geraumer Weile nachfolgte, weil SEINE Mutter ihm versicherte, so eine Frau wie die Milli fände er nie wieder), fand sie dort eine Anstellung als Hausbesorgerin. Hier wohnte sie also mit Tochter und später wieder mit nachgereistem Ehemann in einer Kellerwohnung mit Blick auf die Straße (und einer von einem Steinmäuerchen umfriedeten Rasenfläche). Es handelte sich um eine ruhige Gasse im dritten Bezirk.

Das Kind lauschte später den Erzählungen über die großen Stiegenhäuser mit den breiten Treppenaufgängen, den Doppelfenstern, die die Mutter regelmäßig putzte, die Kübel voller eiskaltem Wasser, denn … es war Anfang der 60er Jahre, es gab nur einen Wasseranschluss irgendwo im Hof.

Sie kam zur Welt, wurde von ihrer Mutter in einer dieser rosa Decken eingewickelt nach Hause getragen und sogar die Hausbesitzer waren überrascht, denn sie hatten die Schwangerschaft gar nicht mitbekommen.  Die Familie lebte dann noch etwa ein Jahr in diesem Haus, um dann in den fünften Bezirk zu übersiedeln, von wo aus sie dann schließlich nach Meidling wanderten, und dort blieben sie dann auch eine ganze Weile.

Sie war etwa drei oder vier Jahre alt, als sie – ihre Mutter, ihre ältere Schwester und sie selbst – das betuchte Ehepaar, welches das Zinshaus besaß, besuchten. Sie erinnerte sich genau an die riesigen Stiegenaufgänge links und rechts vom Eingangstor, den Durchgang zu einem großen Hof mit mindestens einem Baum links von der Mitte, die Stiege gegenüber mit dem Gittertor zu einem geheimen Garten.  Die Wohnung mit dem knarrenden Parket, einem etwas muffigen Geruch ob der uralten, klobigen Möbel, vor allem im Schlafzimmer, in das sie nach einer Weile gebracht wurde, weil sie offenbar ein Nickerchen halten musste, was sie aber nicht tat, sie bestaunte die riesigen Betten, die Tuchenten, die Bilder an der Wand, während die Erwachsenen im Zimmer nebenan ratschten über alte Zeiten.

Viele Jahre später erzählte die Mutter einmal, das Haus sei früher mal ein Sanatorium gewesen. Viele weitere Jahre, Jahrzehnte später konnte sich keiner mehr an die Adresse erinnern, die hätten Auskunft geben können, waren tot. Sie wusste nur ungefähr, wo dieses Haus stehen sollte und irgendwie ließ es sie nie los. Immer wenn sie in die Gegend kam in der sie es vermutete, suchte sie danach. Nie fand sie es.

Und dann eines Tages doch, als sie vergessen hatte, es zu suchen. Sie kam auf einem Weg entlang einer Steinmauer, ihr Blick schweifte über die moderne, bunte Dachterrasse, ganz offensichtlich renoviert, denn ursprünglich waren dort einmal wuchtige Giebeldächer gewesen. Aber sie erkannte sofort die Fassade, das Stück, das sie wahrnehmen konnte. Die Anordnung der zwei Stiegenhäuser in U-Form, mit der offenen Seite da, wo sie eben einen Blick über die Mauer auf die Dachterrassen und den Fassaden erhaschen konnte.

Es wurde grad renoviert. Das Haustor zur Straße stand weit offen, trotz Gegensprechanlage. Sie sah die Fenster der Kellerwohnung, den Eingang zur Hausbesorgerwohnung in der Einfahrt, schritt durch den Durchgang, erkannte die Stiegenaufgänge, den Hof (der Baum allerdings war fort), das Tor zum geheimen Garten und das Stiegenhaus, in dem die damaligen Besitzer gelebt hatten. Sie waren damals nicht mehr ganz jung gewesen, viel älter als die Mutter. Sie wusste nicht, ob sie Kinder gehabt hatten. Sie sah, wie wuchtig alles war und konnte regelrecht sehen, wie ihre zart gebaute Mutter hochschwanger die Stiegen und Fenster schrubbte.

Später recherchierte sie, sie wollte wissen, wie das war, mit dem Sanatorium. Es wurde von einem Mann im 19. Jahrhundert erbaut als ein “Sanatorium für gemütskranke Menschen”.  1925 wurde es geschlossen. 

Welche Geschichten dieses Haus wohl kannte, welche Geschichten! Wie verwoben doch alles , wie nahe sie ihrer Mutter wieder war.

© Silvia Springer

Recently, on one of her wanderings through the city, her eyes caught the façade of a house from the Viennese Gründerzeit,  and, like a flash of lightning, she realized that she had been conceived in this house and had spent the first months of her life there. She knew it mainly from her mother’s stories, because she had seen it only once.

The property, because that’s what it basically was, belonged at that time to a Viennese family who had spent their summer holidays on the grandmother’s small farm (the grandfather had died of pneumonia shortly before the start of the war) in Styria, one time or another. They always kept in touch, and then when the mother fled from Bludenz (where she had gone to work in one of the weaving mills) to Vienna because she wanted to start a new life without her husband (who, however, followed her after quite a while because HIS mother assured him that he would never find a woman like Milli again), she found a job there as a caretaker. So here she lived with her daughter and later again with her husband, who had followed her, in a basement apartment with a view of the street (and a lawn enclosed by a stone wall). It was a quiet alley in the third district.

The child later listened to the stories about the large staircases with the wide stairways, the double windows that the mother cleaned regularly, the tubs full of ice-cold water, because … it was the beginning of the 60s, there was only one water connection somewhere in the courtyard she could use.

She was born, carried home by her mother wrapped in one of those pink blankets, and even the landlords were surprised, because they hadn’t even noticed the pregnancy.  The family then lived in this house for about another year, and then moved to the fifth district, from where they eventually “migrated” to Meidling, and there they stayed for quite a while.

She was about three or four years old when they – her mother, her older sister and herself – visited the well-heeled couple who owned the apartment building. She remembered clearly the huge staircases to the left and right of the entrance gate, the passage to a large courtyard with at least one tree to the left of center, the staircase opposite with the lattice gate to a secret garden.  The apartment with the creaking parquet, a somewhat musty smell because of the ancient, clunky furniture, especially in the bedroom, to which she was taken after a while, because she obviously had to take a nap, which she did not, she marveled at the huge beds, the giantic duvets, the pictures on the wall, while the adults in the room next door gossiped about old times.

Many years later, her mother once told her that the house had once been a sanatorium. Many more years, decades later, no one could remember the address, those who could have given information were dead. She only knew approximately where this house should be and somehow it never let her go. Whenever she came to the area where she thought it was, she looked for it. She never found it.

And then one day she did, when she forgot to look for it. She came upon a path along a stone wall, her eyes wandering over the modern, colorful roof terrace, quite obviously renovated, for there had once been massive gabled roofs there originally. But she immediately recognized the facade, the piece she could perceive. The arrangement of the two staircases in a U-shape, with the open side there, where she could just catch a glimpse over the wall to the roof terraces and the facades.

It was under renovation. The front gate to the street was wide open, despite the intercom system. She saw the windows of the basement apartment, the entrance to the caretaker’s apartment in the driveway, walked through the passageway, recognized the stairways, the courtyard (the tree, however, was gone), the gate to the secret garden and the stairwell where the former owners had lived. They had not been very young then, much older than her mother. She didn’t know if they had had children. She saw how bulky everything was and could literally see her delicately built mother, heavily pregnant, scrubbing the stairs and windows.

Later she did some research, she wanted to know what it was about the sanatorium. It was built by a man in the 19th century as a “sanatorium for the mentally ill.”  It was closed in 1925.

What stories these walls must have known, what stories! How interwoven everything was, how close she was to her mother again.

© Silvia Springer

Translated with http://www.DeepL.com/Translator (free version)

 

4 Kommentare Gib deinen ab

  1. Schöner Streifzug von einer Erinnerung zur nächsten 🙂

    1. diespringerin sagt:

      Dank dir, Sabine 😊. I

  2. castorpblog sagt:

    Ein interessanter und intimer Einblick in ihre Geschichte…

    1. diespringerin sagt:

      🙂

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