Die Reisende hatte nicht erwartet … sie wusste nicht einmal, dass sie Erwartungen gehabt hatte, aber irgendwelche musste es gegeben haben, sonst wäre sie nicht so erschüttert von den Eindrücken, die in diesen Tagen auf sie eingeströmt waren wie der Fluss, an dessen Ufer sie nun saß, in dessen aufgewühltes Wasser sie blickte, träumerisch einerseits und andererseits kurz vor dem vollständigen Erwachen. Sie spürte eine Aufmerksamkeit, die sowohl nach außen als auch nach innen gerichtet war, ohne dass sie sich darum bemühte. Überhaupt hatte sie den Entschluss gefasst, sich nie wieder um etwas zu “bemühen”, zu viel Energie hatte sie damit bereits verschwendet. Ihre ganz persönliche, besondere Leichtigkeit, die ihr seit ihrer Geburt zu eigen gewesen war, hätte sie solcherart fast verloren: mit dem vergeblichen Bemühen um die Richtigkeit der Dinge in ihrem Leben, über die sie sowieso nie die Kontrolle gehabt hatte.
Alles war ein Geschenk, überlegte sie. Nein, sie überlegte nicht. Die Gedanken tauchten auf wie der eine oder andere Fisch in diesem Fluss, der über eine Stromschnelle sprang. Sie verschwanden ebenso, und im Untertauchen waren sie bereits vergessen, als wären sie nie gewesen. Ein Stöhnen entrang sich ihrer Brust, ein Schmerz durchbohrte ihre Lungen, ihr Herz, ihre Muskel und Knochen. Sie schluchzte und wusste doch nicht warum. Tränen füllten ihre Augen, rannen die Wangen herunter, eine blieb an ihrer Nasenspitze hängen. Sie kitzelte. Die Reisende schluckte, wischte die Tränen ab. Sie spürte dieses Zittern, immer wieder, dieser Tage. Warum? Sie verlebte einfach eine schöne Zeit, aber dieses Land, diese Umgebung hinterließen ihre Eindrücke als wäre sie soeben wie ein Kalb mit einem ganz bestimmten Brandmal versehen worden: sie GEHÖRTE diesem Land.
Nein, nicht dieser Nation. Nicht den unterschiedlichsten Traditionen, die hier gewachsen waren, manche mit Gewalt verwurzelt, während andere gleichzeitig ausgerissen wurden wie “Unkraut”, das so oft heilsam war, notwendig, wunderschön, aber eben unerwünscht “wucherte”. Sie gehörte diesem Fluss, diesem Waldstück, diesen Bäumen, diesen Bergen, diesem Boden. Sie gehörte diesem Geist, der hier noch immer über den Dingen schwebte und alles, wirklich alles überleben würde, sich zurückholte, was ihm scheinbar entrissen worden war. Aber das war eben der ganz große Irrtum. Dem Geist wird nichts entrissen, da alles in ihm IST.
Sie war heimgekommen. Und selbst wenn sie wieder in die Alte Welt zurückreisen würde: sie war heimgekommen und würde nie wieder heimatlos sein. Nie, nie wieder. Denn ihre Seele, dieses uralte, unverwüstliche Ding, das gar kein Ding sondern eben die Vermittlung zwischen Geist und Materie war, diese Vermählung aus diesen beiden Was-auch-immer-sie-tatsächlich-und-in-Wirklichkeit-waren, hatte sich vereint mit dem, was um sie war. Die Trennung davon war sowieso nur Illusion gewesen. Und vermutlich … würde sie wieder aufwachen aus diesem seltsamen Zustand, würde sich im Nachhinein fragen, was denn da alles passiert war obwohl doch eigentlich gar nichts vorgefallen war, außer ein paar wirklich schönen Dingen. Sie würde nicht versuchen, dem auf den Grund zu gehen. Sie war ja gerade da, auf dem Grund. Und jetzt war einfach nur jetzt und morgen … würden kommen, irgendwann, vermutlich. Ziemlich wahrscheinlich, wie sie gerade etwas schläfrig geworden dachte und dennoch hellwach wie noch nie zuvor.
Besser spät als nie, schien ihre Seele schnurrend zu sprechen. Siehst du, aufgeben wäre Unsinn gewesen. Du bist weiter gegangen als du denkst. Viel, viel weiter, und der Grund liegt viel, viel tiefer. Und die Sonne, die geht viel höher und strahlender auf als du je zu hoffen gewagt hast. Geh einfach weiter. Und wenn du müde bist, lege dich nieder und schlafe. Und wache wieder auf. So einfach ist das. Mehr ist gar nicht dahinter.
Foto von wildmanpoet, bearbeitet von mir.
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Berührt mich sehr im Herzen, diese wundervoll zarten Worte einer Liebenden…ich grüß Dich!
Dank dir sehr, Graugans! :o)
Sitze grad mitten im ‘Wilden Westen und frühstücke … schicke dir viele herzliche Grüße! :o)