Sie war verloren gegangen im Labyrinth. Sie hatte geglaubt, alles sei klar, jedoch die Scheiben waren aus Panzerglas. Da kam nichts durch. Auch sie nicht. Sie hatte sich verirrt in scheinbarer Transparenz der Kommunikation, die Durchsichtigkeit der Gefühle hatte sich als Illusion erwiesen. Sie hatte sich selbst vor die Stirn gestoßen, im Versuch, auf die andere Seite zu gelangen: zum Anderen. Sie spiegelte sich selbst. Ihre Ratlosigkeit, ihre Fassungslosigkeit, ihre Traurigkeit, ihre Verlassenheit, alles wurde in tausendfacher Spiegelung auf sie zurückgeworfen. Da war nichts und niemand außer sie selbst. Das verwirrte sie. Nein, mehr als das: das stürzte sie in grenzenlose Verzweiflung.
Sie versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren, suchte im Sucher ihrer Kamera und tat alles, ihre Isolation nicht wahrzunehmen. Sie würde den Weg hinaus finden. Es handelte sich um ein Spiel, nichts weiter. Und am Ende, dachte sie, würde alles wieder gut werden. Es war ja alles gut, versuchte sie sich selbst zu beruhigen.
Und wieder stieß sie sich den Kopf am Panzerglas. Es fiel ihr schwer, nicht doch in Panik zu verfallen. Sie ging vor und zurück, vor und zurück. Die Frau am Schalter hatte sie belogen, sie würde nie mehr den Weg hinaus finden. Nie mehr. Sie war gefangen. War sie jemals draußen gewesen?
Sie holte tief Atem. Tastete nach der Glasscheibe. Schritt weiter. Wendete den Kopf nach links, nach rechts, bog den Hals, versuchte einen Windhauch zu spüren, irgendetwas, das ihr helfen würde, dem Labyrinth zu entrinnen. Sie hörte das Lachen von Menschen außerhalb, sie sah Schatten vorüberziehen. Die Sonne schien. Wie sehr sie sich nach draußen sehnte, nach dem Lachen, den Menschen, ihm. Der Umarmung. Dem Kuss. Dem liebenden Blick.
Wann war ihr das alles verloren gegangen, fragte sie sich im Weitertasten. Es geschah von einem Tag zum anderen, da war Glück und plötzlich der reine Mangel davon. Von einem Augenblick zum anderen. Ihr Herz gefror. Wurde zum Klumpen, der auf alle anderen Organe einfach nur drückte und sich kalt anfühlte. Wie ein Tiefkühlschrank.
Nein, es brannte in ihr. Von wegen Tiefkühlschrank. In ihr tobte ein flammendes Inferno, das drohte, sie zu verbrennen. Man würde nur ein Häufchen Asche von ihr finden, hier, im Labyrinth. Sie würden den Staubsauger holen und das wäre es dann gewesen. Und kein Hahn würde nach ihr krähen, kein Hahn.
Im Tasten mit ihren Händen und mit dem Vorwärtsschieben ihrer Füße hatte sie weitere Abbiegungen gefunden. Auf einmal klangen die Stimme von draußen nah. Als lägen keine Panzerglasscheiben zwischen ihnen und ihr. Sie spürte einen Windhauch. In ihrer Überraschung rannte sie noch einmal gegen eine der Scheiben. Sie rieb sich die Stirn. Und die Nase. Sie blickte hinaus, sah ein Liebespaar vorbeischlendern, Arm in Arm in zärtliches Gespräch vertieft. Es wurde ihr bewusst, da war kein Glas mehr. Sie stieß mit ihrer Hand durch die Luft. Da war der Ausgang. Ihr Herz tat einen Sprung. Frisch beherzt schritt sie weiter und diesmal, diesmal gab es keinen Widerstand. Mit einem Mal stand sie im warmen Sonnenlicht, das sie wie eine zärtliche Umarmung empfing. Das Leben, das wirkliche, hatte sie wieder.
Guter Ausgang – boah, Gott sei Dank! :-)