English translation below
Wieder einmal machte sie sich auf und flog gen Westen. Über einen halben Kontinent, einen ganzen weiten Ozean, einen weiteren dreiviertel Kontinent hinweg an einen Ort an der Grenze zwischen Salzsee auf der einen und den Ausläufern der Rocky Mountains auf der anderen Seite.
Was sie am Reisen liebte waren weniger die üblichen Sightseeing-Attraktionen als vielmehr das Leben “der Anderen”. Das alltägliche, manchmal bittere, manchmal süße Leben der so genannten “einfachen” Leute. Derer, die gebeugt von den Erfordernissen und Kämpfen ihres Daseins trotzdem ein Lächeln auf ihren Lippen hatten, Späße machen konnten, obwohl sie vielleicht gerade den Tränen nahe waren, die sich für Lebendigkeit und gegen Zynismus und Sarkasmus entschieden hatten, trotz alledem. Glücklich zu sein, wenn man alles hatte, beruflich, finanziell erfolgreich, körperlich attraktiv war, sich beste Nahrungsmittel und das nötige Kleingeld für diverse Tröstungen hatte, war … war es einfach?
Wenn sie die seelischen Miseren mancher sah, die ihrer Meinung nach (und derartiges Wissen” konnte immer nur ein Meinen sein) in einer Art Garten Eden saßen, fragte sie sich, was der Mensch wirklich benötigte, um Glück empfinden zu können. Sie entdeckte es da wie dort. Sie fand es überall dort, wo es Menschen gab, die füreinander einstanden, sich einsetzten, hingebungsvoll liebten, manchmal Opfer brachten und in entscheidenden Momenten loszulassen vermochten. Dort, wo es eine Art der Demut gab, die mit Demütigung nicht die geringste Ähnlichkeit aufwies. Vielleicht hing das mit der Erfahrung des Scheiterns zusammen, des “mindestens einmal im Leben am absoluten Boden angekommen gewesen zu sein”, so tief unten, dass man nur mehr aufgeben konnte im Sinne “… in deine Hände lege ich … “, welchem Glauben oder Nicht-Glauben man auch angehören mochte. Die menschliche Erfahrung kann mystisch sein, da braucht man gar nicht mal auf Gottessuche sein, und dann trifft man genau darauf, auf dieses ominöse Etwas, das … eben alles irgendwie geheimnisvoll zusammenhält und in einer manchmal wie ein Wunder wirkenden Weise mit dem erfüllte, was man “Sinn” nennen konnte.
Es bedarf keiner falschen oder sogar richtiger Propheten, das Leben zeigt sich. Angst ständiger Begleiter, manchmal weiser Ratgeber des Menschen, manchmal gemeiner Verräter. Wachsamkeit angesagt, ist Mut jene Eigenschaft, die angeblich Gott am Menschen liebt und unterstützt. Religionslos glaubte die Springerin zweifellos. Sie hatte lediglich keinerlei Namen dafür. Andererseits nahm sie diese Kraft manchmal völlig unverhofft, dafür umso intensiver in den Augen eines Tieres wahr, beim Betrachten eines Kunstwerks oder in der ganzen Haltung des einen oder anderen Menschen und in jeglichem religiösem Bekenntnis, wenn es nur liebesgezielt war. Wenn sie bereit war wirklich, wirklich zu lieben, konnte sie sie sogar in der ganzen Menschheit erkennen, in ihrer Fähigkeit, sich absolut hinzugeben in wundervoller Demut, ohne Angst davor sich zu verlieren. Im Augenblick größter Ekstase findet sich der Mensch da, wo er bereit ist, sich aufzugeben.
Sie wusste nie so genau, was sie eigentlich war: Künstlerin? Arbeiterin? Frau? Mystikerin? Philosophin? Schriftstellerin, Dichterin, Photographin? Immer stand sie am Anfang, immer. Dabei war sie gar nicht mehr so jung. Und noch immer stand sie ganz am Anfang. Mittlerweile hatte sie sich damit abgefunden, erblickte sogar eine gewisse Schönheit in ihrer eigenen völligen Bedeutungslosigkeit. Denn im Betrachten der anderen in gewissem Sinne Unsichtbaren, weil auf den ersten Blick Erfolglosen oder eben gründlichst Gescheiterten erkannte sie deren Würde. Begriff, dass wenn sie in der Lage war, die Würde im Scheitern der Anderen zu erkennen, sich selbst im Zustand einer gewissen Würde befinden musste.
Sie entdeckte so viel Liebesfähigkeit und Zärtlichkeit. Mut, Hingabe, Leidenschaft, Demut, Ausdauer, Würde. Das alles war keine Frage von sozialer Klassenzugehörigkeit, Alter, Geschlecht, sexueller Ausrichtung oder Religion.
Sie liebte es, sich inspirieren zu lassen vom Leben der Anderen, die sie als ihr eigenes Spiegelbild betrachtete. Sie lernte durch die Liebe zu ihnen sich selbst mit deren Augen zu sehen und erkannte ihre eigene besondere Schönheit. Indem sie das Geheimnis in Anderen entdeckte, offenbarte sich ihr ihre eigene Einzigartigkeit. Sie war ebenso kostbar wie ein Eiskristall in seiner völlig individuellen Beschaffenheit. Sie war eine Schneeflocke. Ein Tropfen im Ozean. Wenn es “der Andere” war, traf das auf die Betrachterin des Anderen ebenso zu.
Also befand sie sich weiterhin auf der Reise gegen Westen, dorthin, wo die Sonne sich schlafen legte. Nachdem das auf Erden kein bestimmter Ort war, sondern immer nur ein Fingerzeig. würde sie sich solange auf dieser Reise befinden, bis sie wusste, wo die Sonne wirklich unterging. Und zusammen mit ihr genau dort ihr eigenes Haupt zur ewigen Ruhe legen. Oder eben: was auch immer.
***
Once again she hit the trail and flew west. Over half a continent, a whole wide ocean, another three-quarters of a continent to a place on the border between desert and the Great Salt Lake on one side and the foothills of the Rocky Mountains on the other side.
What she loved about traveling was not so much the usual sightseeing attractions than the lives of “the others”. The everyday sometimes bitter, sometimes sweet life of the so-called “simple” people. Those who, bowed to the demands and struggles of their existence, still had a smile on their lips, could make jokes, though perhaps they were close to tears, who chose vivacity and decided to be not cynical or sarcastic, despite all. To be happy with possesing “everything”, being professionally, financially successful, physically attractive, to have the best food and the necessary change for various consolations, was … was it easy?
When she saw the mental misery of some who, in her opinion (and such “knowledge” could only ever be no more than that), sat in a kind of garden of Eden, she wondered what really was the heart of happiness. She found it wherever there were people who stood up for each other, committed themselves to someone or something, devotedly loved each other, sometimes made sacrifices and were able to let go at decisive moments, where there was a kind of humility that was not the least bit like humiliation, perhaps because of the experience of failure, of “having reached the absolute bottom at least once in life”, so low down that one could only give up more in the sense of “… into your hands I commend …” whatever faith or non-faith one may like to stick on to. The human experience can be mystical, you do not even need to search for God, and then you meet exactly that, this ominous something that … just keeps everything somehow mysteriously together and fulfills it in a sometimes miraculous way that you could call “meaning”.
No false or even true prophets were needed, life shows itself. Fear a constant companion, sometimes wise counselor of man, sometimes common traitor. Vigilance needed, courage is the quality that God supposedly loves and supports in man. Jump-over-Shadow doubtless believed without religion. She just did not have any name for it. On the other hand, she sometimes encountered this power completely unexpectedly, but all the more intense in the eyes of an animal, looking at a work of art or in the whole attitude of one or the other person and in any religious confession, if it was only love-targeted. If she was willing to truly love, she could even recognize that power in all of humanity, in its ability to surrender in wonderful humility, without fear of losing the own self. At the moment of greatest ecstasy a human being finds itself where it is ready to give itself up.
She never quite knew what she really was: artist? Worker? Woman? Mystic? Philosopher? Writer, poet, photographer? She always stood at the beginning, always. She was not that young anymore. And still she was at the beginning. By now she had resigned herself to it, even saw a certain beauty in her own utter insignificance. For in looking at the others in a certain sense invisible individuals, people who at first glance seem to be unsuccessful or who just thoroughly failed, she also recognized their dignity. And if she was able to recognize dignity in the failure of others, she herself would have also to be in a state of dignity.
She discovered so much love and tenderness. Courage, dedication, passion, humility, perseverance, dignity. It was not a matter of social class, age, gender, sexual orientation or religion.
She loved to be inspired by the lives of others, they were her own reflection. She learned in realizing the others to perceive a picture of herself through their eyes and realized her own special beauty. By discovering the secret in others, she revealed her own uniqueness. She was as precious as an ice crystal in its completely individual nature. She was a snowflake. A drop in the ocean. If it was “the other,” it was the same for the viewer of the other.
So she was still on the voyage west, to where the sun went to sleep. Since that is not a specific place on earth, but only a hint, she would stay on this journey until she knew where the sun was setting at last. And with her right there lay down her own head for eternal rest. Or whatever.
Photos taken by C.M.F., edited by me
ein sehr schöner text von dir!!!
Dank dir herzlichst :o) !
ich liebe es ;o)
Das froit mich außerordentlich :o) !!!! Einen lieben Gruß aus dem Westen!
Es ist schon ein schwieriges Ding mit dem Glück. Manchmal nimmt man endlose Wege und Schwierigkeiten auf sich, um es zu finden, manchmal muss man durch tiefe Täler und schwere Krisen, um das zu erfahren – und manchmal ist es einfach so da… Ganz unverhofft aus einer Kleinigkeit am Wegrand entstanden…
So ist es …. es gibt kein Rezept dafűr ….